Ein offener Brief für mehr Vielfalt in den Medien

Ein offener Brief für mehr Vielfalt in den Medien

Lieber Medienpartner*innen,

diesmal geht es nicht um die Künstler oder Brands, die ich vertreten darf. Diesmal geht es um - Euch.

Nach Hanau, Corona und George Floyd beobachte ich eine bisher noch nie dagewesene Welle der Solidarität. Gleichzeitig diskutieren im Fernsehen monochromatisch besetzte Runden über Rassismus. Einerseits fühlt es sich für mich an, als ob die Medien das Thema neu für sich entdeckt haben. Anderseits werden die klassischen Klischees bedient.

Mit 43 Jahren erkenne ich selbstkritisch, dass ich von meiner Seite bisher zu wenig den Dialog über Inklusion gesucht habe. Als Gründerin einer Agentur mit einer direkten Leitung zu den Medien, nutzte ich meine Position nie, um das Thema Rassismus anzusprechen. Ich habe aus Scham geschwiegen. Zu groß war der Wunsch dazuzugehören und mich zu integrieren. 

Lange glaubte ich, wenn ich über Rassismus spreche, grenze ich mich aus. Heute weiß ich, wenn ich schweige, grenze ich mich aus.

Warum ich das so wahrnehme? ​ Ich heiße Stefanie Kim, wurde als Hyun-Jin Kim geboren und ich bin koreanisch-stämmige Deutsche und gehöre zur 2. Generation der Einwanderer-Kinder. Die Agentur KIMKOM wurde vor 10 Jahren von mir gegründet.

Im Rahmen der aktuellen Rassismusdebatte erreichten mich mehrere Anfragen für eine Künstlerin mit afrikanischen Wurzeln, die wir vertreten.

Ein Auszug der Interviewanfragen:

„Wir möchten gerne mit schwarzen Prominenten über Alltagsrassismus sprechen.“ (von einem öffentlich-rechtlichen Sender, der größten online Lifestyle-Plattform u. v. a.)

-       Rückfrage: „Ist es nicht ein Widerspruch an sich, dazu Prominente zu befragen? Die werden doch im Supermarkt eher nach Selfies gefragt, als dass man sie rassistisch beleidigt.“

-       Antwort: „Haben wir noch nicht so gesehen.“ Oder auch: „Nein, unsere Leser finden Prominente authentischer.“

 „Wir möchten in unserer Morning Show gerne eine Woche lang PoCs zum Thema Rassismus zu Wort kommen lassen(öffentlich-rechtlicher Sender)

-       Rückfrage: „Was bedeutet PoCs für Sie?“

-       Antwort: „Schwarze Menschen.“

Es folgte eine Aufklärung. Anschließend gab es einen Rückruf des stv. Programmleiters.

Meine Rückfragen mit den Antworten:

1. Wie viele Mitarbeiter bei Euch in der Redaktion haben einen Migrationshintergrund? – *Schweigen* „Wir haben keinen.“

2. Wie habt Ihr Euch bei den Themen #Hanau oder #Chemnitz positioniert? – *Schweigen*

3. „Werdet Ihr auch auf die Geschichte eingehen und z.B. Hoyerswerda thematisieren?“ – „Was meinst Du mit Hoyerswerda?“

Oft erklärte man entschuldigend: „Ja, aber wir hatten so einen Zeitdruck! Das Thema brennt JETZT.“ Erstens brennt das Thema schon lange und zweitens hat eine divers aufgestellte Redaktion kein Problem damit, unter Stress und in Sekundenschnelle, die richtigen Ansprechpartner zu kennen und anzufragen. Warum? Weil es für PoCs selbstverständlich ist, sich mit bunten Menschen zu umgeben und über Rassismus auszutauschen.

Es bedeutet mir viel, dass Programmchefs, Teamleiter und Chefredakteure mich zurückgerufen haben und in den Dialog gegangen sind, nachdem die Redakteure ihnen von unserem Gespräch berichtet hatten. Es solle nun mehr Wert auf eine Balance zwischen Gästen mit und ohne Migrationshintergrund gelegt und mehr Raum für inklusive Themen geschaffen werden. Teilweise wurde das Feature auch gestrichen, weil man erkannt hatte, dass der Ansatz nicht gut durchdacht war.

Ich habe mir den Kopf zerbrochen, warum die Berichterstattung auch in seriösen Redaktionen so eindimensional ist. Dann stieß ich auf folgende Zahlen:

Nur 8 von 126 Chefredakteur*innen der reichweitenstärksten Medienhäuser haben einen Migrationshintergrund. Das entspricht einem Prozentsatz von 6,35%. (Quelle: Neue Medienmacher). Gefühlt gibt es in unterhalb der Chefredaktionen sogar noch weniger Menschen mit Migrationshintergrund; zumindest, in denen die zum Thema Rassismus recherchiert haben.

Als erschreckend empfand ich, dass mir kaum ein ​ Journalist sagen konnte,

1. wie hoch der Anteil der Deutschen mit Migrationshintergrund in Deutschland ist,

2. wie sich die Zahlen auf die Herkunftsländer verteilen.

Diese Art der Recherche würde einem u. a. einen Eindruck davon geben, welche Bevölkerungsgruppen in Deutschland am meisten unter Rassismus zu leiden haben.

Die Bundeszentrale der politischen Bildung veröffentlichte diese Zahlen: https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61631/staatsangehoerigkeit

 Auch beim statistischem Bundesamt liegen Zahlen dazu vor: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/_inhalt.html

Nach den desillusionieren Gesprächen, freue ich mich umso mehr über Berichterstattungen wie Die Zeit.  Mit #WirSindHier haben sie eindrucksvoll und mit einem breiten Medienecho bewiesen, wie erfolgreich ein durchdachtes Feature, geleitet von einem diversen Team, sein kann. Ich wünsche mir, dass dies die neue Richtung einer Medienberichterstattung wird, die nicht nur gegen Rassismus ist, sondern aktiv für Inklusion eintritt. Ebenso freue ich mich über die Redaktionen, die einen authentischen Perspektivenwechsel ermöglicht haben, indem sie z.B. Inklusions-Experten zu Rate gezogen haben.

Ich möchte die Medienlandschaft motivieren, mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zu beschäftigen, denn #WirSindHier.

Folgenden Satz von Vernā Myers (VP Inclusion Strategy Netflix) möchte ich Euch allen ans Herz legen : „Diversity is Being Invited to the Party: Inclusion is Being Asked to Dance.“

Liebe Medien – lasst uns gemeinsam tanzen.

Danke für die Aufmerksamkeit.

Herzlichst,

Stefanie Kim

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PS: Diese erst kürzlich erschienen Bücher möchte ich empfehlen. Sie helfen die richtigen Fragen zu stellen und erzählen, wie es ist, in Deutschland zu leben als BIPoC. (Meine Agentur steht in keiner Geschäftsbeziehung mit den Autoren oder den Verlagen.)

 

Über KIMKOM

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